Fünf Songs für fünf Feierabende - Woche 50
Altsaxofon trifft auf Harfe in Leeds, melancholische Gitarrenklänge aus Beirut, schwedischer Dream-Soul, mongolische Long-Song-Tradition im Jazz-Gewand und nigerianische Synthesizer im Disco-Modus.
Jeder Feierabend ist einzigartig. Und mit der richtigen Musik wird er noch besser. Jede Woche gibt’s von mir 5 Tracks als musikalischen Support: von entspannt bis aktiv, von nostalgisch bis weltoffen. Mit Liebe handverlesen! Mehr davon findest du in meiner monatlichen Radiosendung.
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Hallöchen und frohen Wochenstart!
Schön, dass du wieder mit dabei bist! In der letzten Woche habe ich ja einen Artikel für alle diejenigen angekündigt, die ebenso wie ich mit den suchtmachenden Techniken ihres Smartphones am Kämpfen sind.
Ich habe eine Menge an kleinen Einstellungen und weitergehenden Methoden zusammengetragen. Die meisten davon habe ich bereits mehrfach selbst angewendet, um sie dann nach und nach wieder zu vergessen. Der Guide ist also auch ein wunderbarer Reminder an mich selbst. Weil er aber sehr umfassend geworden ist, muss ich noch ein wenig kürzen!
Dazu dann aber am Donnerstag mehr. Bis dahin möchte ich dir aber schon mal vorab eine Handvoll Apps ans Herz legen, die gekonnt deine Screentime minimieren. Falls es da die ein oder andere App auf deinem Smartphone geben sollte, die du gern seltener benutzen wollen würdest, deine Willenskraft allein aber nicht ausreicht, findest du hier vielleicht die richtige Abhilfe:
One Sec: (iOS, Android): Zwingt dich, einmal tief durchzuatmen, jedes Mal, wenn du Social-Media-Apps öffnest. Pro Version 14,99 pro Jahr
freedom.to: (iOS, Android, Browser): Blockiert Websites, Apps, alles. 39.99$ pro Jahr
Flow Buddy (iOS): Blockiert Apps und zeigt in Wartezeiten Karteikarten zum Lernen. Kostenlos.
Mindful: Focus & Screen Time (Android): Blockiert Apps, Fokus Times und Auswertung. Kostenlos.
ScreenZen: (iOS, Android, Windows): kostenlos, blockiert Apps und Websites. Kostenlos.
Cold Turkey (Browser): Blockt Domain, YouTube-Channels oder das gesamte Internet. Einmalig 39€.
Forest (iOS, Android, Browser): Gamifizierte Fokus-Time. Kostenlos.
Natürlich gibt es auch die systemintegrierten Einstellungen für Screentime-Limits. Die vorgestellten Apps gehen aber meist noch einen oder mehrere Schritte weiter. Je nachdem, wie abhängig du bist und wie gewillt du bist, Hürden zu umgehen. 🙃
Nun aber weiter mit Musik:
5 Tracks sind dir nicht genug? Hier geht’s zur letzten Radiosendung, vollgepackt mit handverlesener Musik für deinen Feierabend.
5 Tracks für die Feierabende deiner Woche
Jeder Feierabend ist einzigartig. All Feierabende are beautiful. Dies ist mein Versuch, dieses Spektrum durch musikalische Hinter- oder Vordergrundbeschallung zu supporten.
Für den Übergang | Different Styles of Smoothness
Enji – Ulaan
„Ulaan“ bedeutet „Rot“ auf Mongolisch – und ist der Spitzname, den die Sängerin Enji seit ihrer Geburt trägt. Als Baby hat sie so viel geschrien, dass sie rot wie eine Tomate wurde.
Die heute in München lebende Mongolin verbindet zwei Welten: Cool Jazz und Urtiin Duu, den traditionellen mongolischen Langgesang, bei dem einzelne Silben minutenlang gedehnt werden. Übrigens UNESCO-Weltkulturerbe, über 2.000 Jahre alt! Klingt nicht ganz so modern, hip, cool, funky? Oh doch! Es ist verdammt wundervoll!
Der Track beginnt mit Enji, die auf Mongolisch sagt: „Ich bin Ulaan“ – eine charmante Vorstellung und vielleicht auch ein wenig Selbstvergewisserung? Dann: sparsame Gitarre, sanfter Bass, und eine Stimme, die von ätherisch-hoch zu melancholisch-tief wandert. Und dann, plötzlich, wechselt es vom Spoken Word zu einer Scatting-Bridge und ein genussvoller Jazz-Groove setzt ein.
Die New York Times, Washington Post und The Guardian haben das Album alle zu ihren „Best of 2023“-Listen gezählt.
Sie war letztes Jahr bei uns zu Gast auf dem Futur 2 Festival. Leider gab es immer wieder Probleme mit dem Strom – das passiert, wenn man ein Festival off-grid nur mit erneuerbaren Energien antreiben will, einfach leider noch –, aber das hat dem Konzert und dem Charme von Enji im keinsten geschadet. Ungünstigerweise war ich nebenbei noch zu sehr im Orgastress eingebunden, als dass ich meine Aufmerksamkeit voll auf ihre Show legen konnte. Aber das wird nachgeholt, und das kann ich dir auch nur wärmstens empfehlen, sollte sie mal live in deiner Nähe zu hören sein.
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Hör das, wenn: Du ein paar Minuten Zeit nach der Arbeit als Übergang in den Feierabend benötigst, um einen klaren Cut zu setzen.
Für das Innehalten | Deep listening & meditation
Jasmine Myra – Rising
Die Welt dreht sich schnell. Halten wir kurz an, sammeln unsere Kräfte, um dann mit neuer Energie weiter zu machen!
Dieser wundervolle Track entfaltet sich langsam – Saxofon, Harfe, ein Streichquartett. Ohne großen Wirbel zu machen. Die britische Saxofonistin Jasmine Myra hat ihn während des Lockdowns geschrieben, als sie merkte, dass ihr ganzer Selbstwert an Musik hing und plötzlich alles stillstand.
Die eine Sache, die ich am Lockdown genossen habe: die plötzliche Ruhe vor meiner Haustür, damals unweit der Hamburger Reeperbahn. Gern hätte ich damals dazu diesen Song gehört.
Kein hektisches „Ich muss jetzt etwas erschaffen“, sondern ein vorsichtiges Sich-wieder-Finden. Produziert hat das Matthew Halsall von Gondwana Records – dem Label, das auch GoGo Penguin und Portico Quartet herausbringt. Falls du also auf meditativen UK-Jazz stehst, bist du hier richtig.
Der Titel passt übrigens: „Rising“ fühlt sich an wie langsames Auftauchen nach langem Untertauchen.
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Hör das, wenn: Du genau diesen Moment hier für dich nutzen möchtest, um einmal kurz innezuhalten und dir selbst zu sagen, was für ein großartiger Mensch du doch eigentlich bist!
Für eine Zeitreise | Vintage Vibes
Rogér Fakhr – Fine Anyway
Das hier ist eine Zeitkapsel aus Beirut, 1977. Mitten im libanesischen Bürgerkrieg nahm Rogér Fakhr dieses Album an einem einzigen Tag auf – zehn Stunden Studio, fertig. Nur etwa 200 Kassetten wurden kopiert, die meisten gingen im Krieg verloren. Fast 45 Jahre später hat das Berliner Label Habibi Funk die Musik wiederentdeckt und restauriert.
Was bleibt: akustische Gitarre, eine sanfte, leicht melancholische Stimme, und Texte, die zwischen Stoizismus und Verlust pendeln. „I’m fine anyway / I don’t need you to stay” – klingt wie jemand, der sich selbst überzeugen will, dass alles okay ist. (Kennen wir alle, oder?)
Fakhr nennt James Taylor als größten Einfluss, und man hört’s. Aber mit diesem Hauch von einem Schatten, der nur jemandem gehört, der sein Album während Bombenalarms aufnimmt. Der Sound ist so authentisch amerikanisch-britisch, dass du nie auf Beirut tippen würdest – ein Zeugnis der kosmopolitischen Kultur Beiruts vor dem Krieg oder vielmehr den Kriegen.
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Hör das, wenn: Du Lust hast auf ein paar Minuten musikalische Nostalgie und dich dabei wundern möchtest, wie sehr vielleicht dein Bild von Beirut unvollständig ist.
Für den Horizont | Allerweltsmusik
Dina Ögon – Mormor
„Mormor“ heißt Großmutter (mütterlicherseits!) auf Schwedisch. Der Song ist eine Liebeserklärung an jemanden, der nicht mehr da ist.
Die schwedische Band Dina Ögon hat 2024 zwei Grammis gewonnen – Album des Jahres und Alternative Pop des Jahres. Sängerin Anna Ahnlund singt: „Ich sah immer den Mond in deinem Blick, aber ich verstand nie, was du mir sagen wolltest. Jetzt weiß ich es.“ Das trifft dieses universelle Gefühl, wenn du erst im Nachhinein verstehst, was ältere Generationen meinten.
Musikalisch ist das schwedischer Dream-Pop vom Feinsten. Beim ersten Hören konnte ich nur leider überhaupt nicht einordnen, welche Sprache das sein soll! Also: Dringend mehr schwedische Musik hören! Die Band selbst beschreibt sich als „Lovechild von Fleetwood Mac, Khruangbin und obskuren Motown B-Sides“. Tyler, the Creator hat übrigens einen anderen Song der Band zu seinen Lieblingen 2022 gezählt.
Stockholm ist nicht exotisch weit weg, aber manchmal braucht’s keine geografische Distanz für einen neuen Blick. Manchmal reicht ein schwedischer Dream-Pop-Track, der von Großmüttern singt.
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Hör das, wenn: Du deinen musikalischen Horizont gen Norden erweitern willst und dich zugleich nebenbei an einen schönen Moment mit deiner Oma erinnern möchtest.
Für den Flow | Global Groove
Dizzy K. – Sweet Music
Lagos, 1984. Ölboom, Optimismus, Synth-Funk aus allen Radios.
Dizzy K. Falola – damals bekannt als „Nigerias Michael Jackson“ – hat in dieser Ära sechs Alben bei EMI Nigeria aufgenommen. „Sweet Music“ ist ein groovender, repetitiver Track, der über 6 Minuten läuft und nicht langweilig wird. Synthesizer, E-Piano, eine Bassline, die dich mitnimmt, und Dizzy Ks charakteristische Stimme, die singt: „Sweet music coming from the radio.”
Das ist Nigerian Boogie – die Musik, die entstand, als Nigeria Disco und Funk nahm und daraus etwas Eigenes machte. Wem wird beim Hören bitte kein Lächeln ins Gesicht gezaubert, wessen Kopf kann widerstehen, mitzuwippen?
2018 hat das Londoner Label Sticky Buttons Dizzy Ks alte Alben restauriert und wiederveröffentlicht. Seitdem gibt’s ein Revival. Dizzy K selbst lebt heute in London, hat sich 1989 dem Gospel zugewandt und macht seit über 30 Jahren christliche Musik.
Für mich eine wundervolle Liebeserklärung ans Radio und eine Erinnerung daran, noch viel häufiger Radiosender wie ByteFM zu hören. Handkuratiert, detailverliebt, stets neugierig und mutig. Ein wenig so wie ich also … fast. 🙃
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Hör das, wenn: Du dir kurz vor Augen führst, dass dein Leben schon ziemlich wundervoll ist und Musik diese Stimmung perfekt untermalen kann.
Das war es wieder für diese Woche! Es würde mich freuen, wenn der ein oder andere Song dir ein paar Minuten wohlverdiente Auszeit ermöglicht und dich bei deinem Feierabend, wie immer er auch aussehen mag, unterstützt. Falls ein Song besonders gut passt, bin ich gespannt darauf zu hören, in welchem Moment, in welcher Stimmung er dich gefangen hat.
Falls dir gefällt, was du liest und hörst, freue ich mich wie immer über ein Abo, eine Weiterempfehlung oder ein paar nette Worte. TAoMF ist ein Herzensprojekt und Hobby. Es ist kostenlos für alle verfügbar. Wenn du meine Arbeit wertschätzt und unterstützen möchtest, kannst du mich gern auf einen Kaffee einladen.
In diesem Sinne: Schönen Feierabend.
Claas-Hendrik Berg

