Über Übergänge & 5 Tracks für den Feierabend
Zwischen Jetzt & Gleich, Bett & Bad, Arbeit & Feierabend passt immer ein kleiner Moment des Innehaltens. Und gute Musik sowieso.
Musik für fünf verschiedene Feierabend-Momente. Von entspannt bis aktiv, von nostalgisch bis weltoffen. Dazu Gedanken und ein kleines Experiment. Nimm, was du brauchst. Der Rest ist für später!
Gibt es eine Zeit zwischen Arbeit und Feierabend? Oder ist der Feierabend pünktlich mit dem Klingeln der virtuellen Schichtglocke einfach da? Riiiiiiinnnnnnng: Entspannung!?
Ich habe angefangen, diese Phase des Übergangs etwas bewusster auszuleuchten, und festgestellt, dass es dort viel zu finden und viel zu gewinnen gibt.
In dieser Woche geht es um Übergänge. Zwischen Arbeit und Feierabend, zwischen hier und dort und in der Musik.
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Eisbrecher der Woche
Fragen für dich und andere Menschen. Zuerst für dich selbst beantworten, dann im Hinterkopf für’s nächste Gespräch behalten und die Frage selbst stellen. Denn Feierabend macht man nicht nur allein!
Der Eisbrecher hat diesmal nicht direkt was mit Übergängen zu tun, dafür aber mit Brüchen, vielleicht sogar im wahrsten Sinne. Es geht um einen persönlichen Blick in die Vergangenheit und wie sie sich vielleicht noch auf das Hier und Jetzt auswirkt:
Gibt es etwas, dass du, obwohl es dir sehr am Herzen lag, du aufgegeben hast oder aufgeben musstest? Falls ja, bereust du es heute?
Ich bin gespannt auf deine Antwort hier im Substack-Chat – dort findest du auch meine Antwort und hoffentlich viele weitere.
Halb im Hier, halb im … irgendwo!
Erst mal eine Zahl: 47 Prozent. So viel Zeit verbringen wir im Durchschnitt damit, gedanklich nicht im Hier und Jetzt zu sein. Das haben die Harvard-Psychologen Matthew Killingsworth und Daniel Gilbert 2010 in einer Studie herausgefunden. Fast die Hälfte unserer wachen Zeit denken wir an etwas anderes als das, was gerade vor oder in uns passiert.
Das ist zum einen ziemlich gut so, denn das spart eine Menge Energie. Immer alles gleichermaßen wach und aufmerksam wahrzunehmen, wäre viel zu anstrengend. Auf der anderen Seite aber geht da auch eine Menge verloren.
Meditationen setzen klassischerweise hier an. Sie ersuchen uns, Dinge bewusst wahrzunehmen. Unsere Atmung, unseren Körper, Geist und Umwelt. Sich dafür ein paar Minuten am Tag freizuräumen, kann viel verändern, viel bewirken.
Nun bin ich bei weitem nicht an einem Punkt, an dem ich dir von den tiefen Künsten der Meditation erzählen möchte. Ja, ich meditiere und versuche, regelmäßig kleine Lektionen aus dem Healty Minds Program zu absolvieren, durchaus auch mit einigen ersten „Erfolgen“, wenn man das so nennen mag. Aber der Impact kommt dann im Alltag eher in kleinen, feinen Nuancen und Perspektivwechseln.
Was im Alltag aber einen riesigen Unterschied für mich angefangen hat zu machen, ist, in Phasen des Übergangs kurz innezuhalten und eben diesen Übergang von einem zum anderen bewusst für sich wahrzunehmen. Sei es beim Übergang zwischen Räumen (okay, das klingt vielleicht ein wenig bescheuert, aber ja so ist es gemeint!), beim Übergang zwischen Frühstück und dem Hausverlassen oder eben von der Arbeit hin zum Feierabend.
Jedes Mal, wenn es mir gelingt, in diesem Zwischenmoment kurz in Ruhe ein- und auszuatmen und mir dieses Übergangs bewusst zu werden, rekalibriert mich das Ganze kurz.
Was habe ich gerade bis eben gemacht? War das gut, schlecht, oder mittel? Was kommt als Nächstes? Was will ich denn gleich machen?
Das kurz auszuloten hilft total den inneren Fokus zu schärfen. Und, um es einfach zu sagen “Ruhe reinzubringen”. Und durch diesen bewussten Abschluss bzw. Anfang gewinnen diese Momente an Stärke, an Bedeutung.
Viel zu oft verschwimmen die Dinge: ich bin gedanklich noch am Schreibtisch, anstatt das was ich gerade auf dem Handy in der Bahn lese voll mitzubekommen. Oder ich kuratiere Gedanklich noch den nächsten Newsletter während ich eigentlich dass Essen mit meiner Freundin genießen sollte. Die stetige mediale Dauerbeschallung von dutzenden Quellen, die unendlichen Möglichkeiten auf externe Reize zu reagieren, machen es nicht leichter auf unser Inneres „Was möchte ich denn eigentlich wirklich gerade machen?“ zu hören.
Wie geht es dir mit Übergängen? Nimmst du sie bewusst wahr, oder verschwimmen sie in einem genüsslichen Alltagsbrei?
Sind wie für dich eher ein melancholisches „Oh, da geht etwas zu Ende!“ oder ein erwartungsvolles „Was kommt wohl als Nächstes“?
Andersmacher der Woche
Eine kleine Übung, um Gewohnheiten zu durchbrechen und Alltägliches neu zu entdecken.
Wenn du Lust hast, deine Übergänge etwas mehr zu erforschen, lade ich dich ein, mit einem kleinen Alltags-Experiment der Sache auf den Grund zu gehen:
1 Übergang pro Tag: Wähle einen deiner täglichen Übergange in deinem Alltag aus (zum Beispiel: vom Bett zum Badezimmer, vom Büro zur U-Bahn, vom Laptop zum Sofa). Immer wenn du durch einen dieser Übergänge gehst, nimm bewusst drei tiefe Atemzüge. Mehr nicht.
Klingt lächerlich simpel? Ist es auch. Aber versuch’s mal eine Woche. Optional: Schau kurz zurück und/oder nach vorn: Was hast du gerade gemacht, was passiert wohl als Nächstes? Und dann: Mach einfach weiter!
Fünf Tracks für den Feierabend
Jeder Feierabend ist einzigartig. All Feierabende are beautiful. Dies ist mein Versuch, dieses Spektrum durch musikalische Hinter- oder Vordergrundbeschallung zu supporten. Jede Woche 5 Tracks für die Facetten deines Feierabends.
Für den Übergang | Different Styles of Smoothness
Grandbrothers – Ezra was right
Da ist dieser Moment, wenn du den Stecker ziehst und die Welt sich ein Stück langsamer dreht. Genau dafür haben die Grandbrothers „Ezra was right“ gebaut – einen 7-minütigen Übergang vom Funktionieren zum Sein.
Das Düsseldorfer Duo macht etwas Verrücktes: Sie hämmern mit elektromagnetischen Hämmern auf einen Flügel ein. Klingt nach Lärm, ist aber das Gegenteil. Die ersten drei Minuten sind kontemplativ, fast meditativ – das Piano stimmt sich wie ein Orchester. Dann, ganz allmählich, baut sich Energie auf. Ohne Hektik. Ohne Druck.
Gilles Peterson spielte den Track 2013 in Heavy Rotation, Bonobo packte ihn in seine DJ-Sets. Die EP verkaufte ihre erste Auflage in zehn Tagen. Dieser Track macht genau das, was gute Übergangsmusik machen sollte. Er nimmt dich mit. Von hier nach dort.
Das Geheimnis? Alles kommt von einem einzigen Instrument. Einem Flügel, der durch Technologie neu erfunden wurde. Tradition trifft Innovation. Handwerk trifft Hightech. Und irgendwo dazwischen entsteht dieser magische Moment, wenn Arbeit aufhört und Feierabend anfängt.
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Hör das, wenn du nach Hause kommst und merkst, dass deine Gedanken noch in der Vergangenheit sind, anstatt im Hier und Jetzt.
PS: Um auch deine visuellen Sinne anzusprechen, schau dir dieses wunderbare Fan-Video zu diesem Track auf Vimeo an!
Für das Innehalten | Deep Listening & meditation
Hania Rani – Hawaii Oslo
Die polnische Pianistin Hania Rani spielt hier ein Stück, das aussieht wie nur ein paar Noten auf dem Papier – und sich anfühlt wie eine halbe Stunde Therapie. Es ist so reduziert, dass du deine eigenen Gedanken dazwischen hören kannst.
Der Titel kommt von zwei Orten, die nicht unterschiedlicher sein könnten: Hawaii und Oslo. Rani sagt, der Track verbindet diese Extreme – Wärme und Kälte, Weite und Nähe. Und genau so klingt es auch. Als würdest du gleichzeitig am Strand sitzen und aus dem Fenster auf verschneite Berge schauen.
Ich höre das oft, wenn ich nach einem chaotischen Tag einfach nur sitzen und durchatmen will. Oder an einem ruhigen, gemütlichen Sonntagmorgen. Keine Ablenkung. Kein Multitasking. Nur der Klang eines Klaviers.
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Hör das, wenn du kurz ein- und dann tief, lange und genüsslich ausatmen möchtest.
Für eine Zeitreise | Vintage Vibes
Rahsaan Roland Kirk – Theme for the Eulipions
Rahsaan Roland Kirk war blind, spielte mehrere Saxofone gleichzeitig und erfand das Wort „Eulipions“ für Menschen, die die Welt verändern – Künstler, Dichter, Revoluzzer. Dieser Track ist seine Liebeserklärung an genau diese Menschen. An uns alle, eigentlich.
Der Song beginnt mit der Poetin Betty H. Neals, die Kirk als „Journey Agent“ feiert – dann bricht sein Saxofon los wie ein Vulkan. Über 9 Minuten entwickelt sich das Stück zwischen Blues, Jazz und etwas, das sich anfühlt wie eine Erzählung aus einer anderen Zeit. Ein wenig hoffnungsvoll, mit einem Hauch Mystik und über die Maßen inspirierend.
Ein Jahr nach der ersten Aufnahme erlitt Kirk einen Schlaganfall, der eine Körperhälfte lähmte. Dann spielte er den Track einhändig in Dortmund. Mit einem ganzen Orchester. Einfach weitergemacht.
Neals beschreibt im Intro die Begegnung mit einem Künstler spät nachts, der sein Lied als „duty-free gift for the traveler“ anbietet. Das ist es: Musik als Geschenk, das dich durch die Woche trägt. Kein Smalltalk-Jazz für den Fahrstuhl, sondern etwas, das Raum braucht.
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Hör das, wenn du vom Arbeitstag in den Abend übergehst und merkst, dass heute mehr war als nur Tasks abhaken.
Für den Horizont | Allerweltsmusik
Mathieu Boogaerts – Avant que je m’ennuie
Der französische Multi-Instrumentalist Mathieu Boogaerts flüstert sich hier durch eine minimalistische Chanson. Mit fast nichts – Piano, ein paar seichte Bläser und ein paar dezente Percussion-Elemente – kreiert er etwas, das sich anfühlt wie ein Sonnenuntergang an der Côte d’Azur.
Das Besondere: Boogaerts spielt bewusst mit französischer Grammatik. Die „Fehler“ machen den Song nahbar. Fast zerbrechlich. Als würde jemand in einer Sprache Gefühle ausdrücken, die er nur halb beherrscht – und gerade deshalb ehrlicher klingt.
Die minimalistischen Rhythmen schaffen eine angenehme Balance: sophisticated, aber niemals anstrengend. Ein kleines Juwel für Menschen, die echte Entdeckungen jenseits des Mainstreams schätzen.
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Hör das, wenn du gerade zwischen „noch motiviert“ und „ach, egal“ pendelst – und das völlig okay findest.
Für den Flow | Global Groove
Quantic presenta Flowering Inferno – Westbound Train
Dieser Track ist eine Reise. Im wahrsten Sinne.
Will Holland, aka Quantic, nahm 2008 in seinem Studio in Cali, Kolumbien, einen jamaikanischen Reggae-Klassiker neu auf. Der wiederum enthält eine Gitarrenlinie von Al Green. Holland fügte noch eine Flötenmelodie von Herbie Hancock hinzu. Das Ergebnis: Tropischer Dub-Downtempo, der sich anhört, als wäre er direkt am Strand aufgenommen worden.
Der Track gleitet mit weichen Keyboards und einem warmen Bass, der dich sanft aus dem Arbeitsmodus holt. Komplett analog aufgenommen – kein Computer-Gefrickel, nur Musiker und Instrumente. Holland spielte selbst Piano, Gitarre, Akkordeon, Bass, dazu kolumbianische Instrumente.
Der Track ist ein wunderbares Patchwork aus verschiedenen Welten: Jamaika trifft USA, trifft Kolumbien, trifft UK.
Der Westbound Train fährt Richtung Feierabend. Einsteigen, zurücklehnen, ankommen.
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Hör das, wenn du deine Computer-Nackenstarre mit Kopfgenicke therapieren möchtest.
Es würde mich freuen, wenn der ein oder andere Song dir ein paar Minuten wohlverdiente Auszeit ermöglicht und dich bei deinem Feierabend, wie immer er auch aussehen mag, unterstützt. Falls ein Song besonders gut passt, bin ich gespannt darauf zu hören, in welchem Moment, in welcher Stimmung er dich gefangen hat.
Und wenn dir gefällt, was du liest und hörst, freue ich mich darüber, wenn du TAoMF abonnierst und mit einer Weiterempfehlung honorierst.
In diesem Sinne: Schönen Feierabend.
Claas



