Vision killt Kreativität
Vision will Recht behalten, Kreativität will suchen. Wir geben dieser Woche dem Erkunden die Bühne — und dem Abend Töne, die Zufall und Mut belohnen.
Es ist Montag und 5 wunderbare Feierabende liegen diese Woche noch vor dir bis zum Wochenende. TAoMF bietet dir wöchentlich spannende Perspektiven auf den Feierabend und eine handverlesene Auswahl musikalischen Supports.
Wenn dir gefällt, was du liest und hörst, freue ich mich darüber, wenn du TAoMF abonnierst und mit einer Weiterempfehlung honorierst.
Hast du auch so Projekte, die du „irgendwann mal“ machen willst – seit zwei Jahren?
Du weißt genau, wie es aussehen soll. Perfekt. Elegant. Instagram-würdig. Nur... du fängst nie an. Weil zwischen „So soll es sein“ und „So sieht es aus, wenn ich anfange“ eine Lücke so groß wie meine Motivation am Montagmorgen.
Ich habe drei Notion-Seiten voller Ideen die ich nie umgesetzt habe. Alle mit klarem Konzept. Alle unberührt.
Diese Woche geht es um ein Paradox, das mir erst aufgefallen ist, als ich zum dritten Mal meinen Newsletter neu strukturiert habe, statt einfach zu schreiben: Je genauer ich glaube zu meinen, wie es werden soll, desto schwerer wird es, anzufangen.
Das ist nicht Faulheit. Das ist nicht Prokrastination. Das ist … Evolution? Unser Gehirn mag keine Lücken zwischen Erwartung und Realität. Die sind unangenehm. Also lieber gar nicht erst anfangen.
Aber hey – vielleicht ist die Lösung nicht bessere Pläne, sondern schlechtere?
Eisbrecher der Woche
Fragen für dich und andere Menschen. Zuerst für dich selbst beantworten, dann im Hinterkopf für`s nächste Gespräch behalten und die Frage selbst stellen. Denn Feierabend macht man nicht nur allein!
Welches kreative Projekt steht seit Ewigkeiten auf deiner Bucketlist, aber du schaffst es einfach nicht damit anzufangen?
Warum zu viel Vision schadet
Die Wissenschaft belegt: Leute mit klaren Zielvorstellungen sind oft weniger kreativ als Leute, die einfach nur „irgendwie interessiert“ sind.
Klingt kontraintuitiv, oder? Wir denken immer:
Klarheit = gut.
Vision = wichtig.
Aber Kreativitätsforschung sagt: Nope.
Weil Kreativität divergentes Denken braucht – also die Fähigkeit, viele Möglichkeiten zu explorieren, ohne vorher zu wissen, welche die „richtige“ ist. Eine klare Vision aber aktiviert konvergentes Denken – den direktesten Weg von A nach B finden.
Problem:
Kreative Prozesse sind nicht linear. Sie sind messy, unvorhersehbar, voller Umwege. Was am Ende dabei rauskommt, ist selten das, was am Anfang geplant war. Und das ist kein Bug.
Mihály Csíkszentmihályi (nein, ich kann ihn nicht aussprechen) hat herausgefunden: KünstlerInnen, die während des Schaffens am glücklichsten waren, waren die, die sagten „Ich weiß nicht, wohin das führt, aber ich bin neugierig“ statt „Ich habe einen klaren Plan“.
Aber Twist – völlige Planlosigkeit ist auch Scheiße. Das führt nur zu Chaos und Frustration und drei angefangenen Projekten, die alle halb fertig in Notion verstauben. (Spreche aus Erfahrung.)
Die Lösung?
Intention ohne Fixierung. Wissen, was du explorieren willst, aber nicht vorschreiben, wie es aussehen muss. Eine Richtung haben, aber keine Karte.
Oder wie ich es für mich formuliere: “Ich mache das jetzt mal und schaue was passiert. Und wenn es scheiße wird, lösche ich es halt.” (Meistens lösche ich es nicht. Meistens wird’s okay.)
Andersmacher der Woche
Eine kleine Übung, um Gewohnheiten zu durchbrechen und Alltägliches neu zu entdecken.
Probier mal das:
Such dir etwas, du schon lange „machen willst“, aber noch immer nicht gemacht hast. Weil deine Vision zu groß ist. Weil du nicht weißt, wie’s werden soll. Weil, weil, weil.
Dann:
Timer auf 20 Minuten
Mach es – ohne Plan, ohne Erwartung, nur: anfangen
Verbiete dir zu stoppen und zu bewerten – auch wenn’s scheiße wird, weitermachen
Nach 20 Min: Stopp. Nicht bewerten. Einfach nur anschauen.
Das Ziel ist NICHT ein hervorragendes Ergebnis. Das Ziel ist, zu spüren, wie es sich anfühlt, zu machen, ohne zu wissen, was herauskommt.
Vielleicht ist das Ergebnis Müll. But, who cares? 20 Minuten Prozess schlagen 20 Stunden Planung. Machen ist wie wollen nur krasser und so!
Und manchmal – nur manchmal – ist in dem Müll ein Keim von was Echtem. Was du nie gefunden hättest, wenn du weiter geplant hättest.
(Dieser Newsletter ist so entstanden, übrigens. Keine Ahnung ob ich mich mit dieser neuer Stuktur nun wohler fühler, sie besser ankommt und überhaupt. Ich mach das jetzt einfach. Und jetzt bist du hier und liest das. Also... hat wohl geklappt?)
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Soundpicks der Woche
Jeder Feierabend ist einzigartig. All Feierabende are beautiful. Dies ist mein Versuch, dieses Spektrum durch musikalische Hinter- oder Vordergrundbeschallung zu supporten.
Jede Woche 5 Tracks für die verschiedenen Facetten deines Feierabends.
Für den Übergang | Different Styles of Smoothness
Okonski – Vista
Vista heißt Ausblick. Aber nicht im Sinne von „Da will ich hin“, sondern „Nice, Aussicht“.
Dieser Track macht keine großen Ansagen. Er gleitet einfach. Smooth ohne langweilig, entspannt ohne einschläfernd. Er ist der Sound von „Ich bin fertig mit Arbeit, aber noch nicht ganz zu Hause angekommen, und das ist okay.“
Keine Climax, kein Höhepunkt, keine große Geste. Einfach nur: sein. Finde ich beruhigend in einer Welt, die mir dauernd erzählt, jeder Moment braucht ein Ziel.
Hör das, wenn: Du merkst, dass du schon wieder den ganzen Heimweg planst, statt einfach den Weg zu genießen.
Für das friedvolle Verharren | Zurücklehnen & Entspannen
Akira Kosemura – DNA
Zurücklehnen. Durchatmen. Den Stress von den Schultern fallen lassen. Lass dich treiben und beginn zu träumen, zu reflektieren oder einfach nur zu sein.
Akira Kosemura spielt Klavier, als hätte er alle Zeit der Welt. Jede Note bekommt Raum. Die Pausen zwischen den Tönen sind fast wichtiger als die Töne selbst. Neo-Classical meets Nu-Jazz, oder wie ich es nenne: Musik, die dich daran erinnert, dass Nichtstun auch eine Tätigkeit ist.
Manchmal brauchst du keine Lösung. Manchmal brauchst du einfach nur zu bleiben. Für einen Moment. Ohne schlechtes Gewissen.
Hör das, wenn: Du merkst, dass du beim Musikhören schon wieder am nächsten Gedanken kaust, statt einfach zuzuhören.
Für einen Blick zurück | Nostalgie
Cheo Feliciano – Como Siento Yo?
„Wie ich mich fühle?“, fragt Cheo mit einer Stimme, die klingt, als hätte er die Antwort gefunden und dann vergessen, warum er überhaupt gefragt hat.
Letzter Song seines Comeback Albums “Mi Tierra Y Yo” aus dem Jahr 1976, nachdem er seine Heroinsucht überwunden hatte. Ein Sound, irgendwo zwischen puertoricanischen Wurzeln und New Yorker Nachtklubs.
Ein wahrer Schmachtfetzen. Nachdenklich, melancholisch und viel ruhiger, als der Rest des Albums.
Hör das, wenn: du schon länger nicht mehr den Blick nach innen gerichtet hast. Wie geht’s dir eigentlich gerade …. Wirklich!?
Für den Blick über den Tellerrand | Weltreise
Os Flippers – Estrelar
Ich bin ein großer Fan von brasilianischem Psychedelic-Folk. Auch wenn ich bis vor Kurzem nicht den Hauch einer Idee davon hatte, dass diese Genrebezeichnung überhaupt existiert. Klingt fast wie eine KI-Halluzination, aber der Sound beweist: Es gibt ihn. Und er klingt wunderbar!
„Estrelar“ so viel wie „sternenförmig“ oder „sich ausbreiten“. Die Melodie macht genau das – sie folgt keinem westlichen Songwriting-Schema, sie mäandert einfach, wohin sie will. Und funktioniert trotzdem. Oder gerade deshalb?
Manchmal stecke ich so fest in meinem eigenen Kopf, dass ich vergesse: Es gibt tausend andere Arten, Dinge zu machen. Die nicht „falsch“ sind, nur anders.
Dieser Track ist eine akustische Erinnerung daran, dass mein Weg nicht der einzige ist – und auch nicht der „richtige“. Aber meiner.
Hör das, wenn: Du merkst, dass du dich vergleichst und dabei verlierst.
Für den Flow | Global Groove
C’mon Tigre – Nomad at Home
„Nomade zu Hause“ – ich liebe diesen Titel. Du bewegst dich, aber du bleibst. Du explorierst, aber du verlierst dich nicht.
Dieser Track groovt, ohne zu hetzen. Er hat Momentum ohne Stress. Er ist der Sound von: Ich mache gerade was und weiß nicht genau, wohin es führt, und seltsamerweise ist das okay.
Das ist das Gegenteil von meiner üblichen „erstmal alles durchplanen“-Neurose. Keine Roadmap, nur: nächster Schritt. Keine Angst vor dem Scheitern, nur Neugier.
(Ob ich das wirklich so hinbekomme? Meistens nicht. Aber der Track gibt mir zumindest die Illusion.)
Hör, das wenn: Du endlich anfangen willst, statt weiter zu planen.
Ich hoffe, die findest ein paar neue Inspirationen und schöne Momente in diesen Songs. Auf dass sie deine Feierabende bestmöglich supporten.
In diesem Sinne: Schönen Feierabend.
Claas