Sei nicht so kindisch? Bullshit!
Über den Ernst des Lebens und das „Sich-Locker-Machen“. Dazu 5 wunderbare Tracks für mögliche Facetten deines Feierabends.
Musik für fünf verschiedene Feierabend-Momente. Von entspannt bis aktiv, von nostalgisch bis weltoffen. Dazu Gedanken und ein kleines Experiment. Nimm, was du brauchst. Der Rest ist für später!
Manchmal frage ich mich, wann eigentlich der Ernst des Lebens angefangen hat. Nicht als Datum, sondern als Zustand. Dieses Gefühl, dass alles einen Zweck haben muss, eine Produktivität, ein messbares Ergebnis.
Meine Freundin hat diesbezüglich eine Superkraft: Quatsch zu machen und sich an den simpelsten Dingen zu erfreuen. Ob es mit Lego spielen ist oder sich von mir an den Füßen wie ein Wischmopp durch das Zimmer ziehen zu lassen und sich dabei köstlich zu amüsieren.
Und ich? Denk mir: Was für ein Quatsch, und sitze „lieber“ am Laptop und sinniere über diesen Newsletter. Nichtstun, im Sinne von „etwas ohne Grund tun“, fühlt sich für mich oft falsch an. Am besten, ich plane schon mal den nächsten Feierabend, weil Entspannung ja Struktur braucht. (Was für ein Quatsch, Claas!)
Diese Woche geht’s ums Spielen. Nicht als Hobby. Nicht als Ausgleich. Sondern als Haltung: Dinge tun, ohne dass sie „Sinn machen“ oder einen Zweck erfüllen müssen.
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Eisbrecher der Woche
Fragen für dich und andere Menschen. Zuerst für dich selbst beantworten, dann im Hinterkopf für’s nächste Gespräch behalten und die Frage selbst stellen. Denn Feierabend macht man nicht nur allein!
Was war als Kind dein Lieblingsspiel oder Lieblingsspielzeug? Wobei hast du stets die Zeit vergessen und wolltest einfach nicht aufhören?
Ich freue mich auf deine Antwort hier im Substack-Chat – dort findest du auch meine Antwort und hoffentlich viele weitere.
Warum Spielen keine Zeitverschwendung ist
Spielen ist für uns Menschen essenziell. Spielend machen wir die ersten Schritte auf dieser Welt und fangen an, sie für uns zu ergründen. Die Forschung zeigt, dass Spielen sowohl unsere kognitive Entwicklung, als auch unsere sozialen Fähigkeiten fördert und ebenfalls unser emotionales Wohlbefinden beeinflusst. Nicht nur bei Kindern. Bei Erwachsenen genauso. Warum sollte das auch irgendwann aufhören?
Das Problem: Irgendwann lernen wir, dass Spielen „kindisch“ ist. Dass ernsthafte Menschen ernsthafte Dinge tun. Dass Albernheit Zeitverschwendung ist. Und plötzlich wird jede freie Minute zur Optimierungszone.
Dabei heißt Spielen ja aber auch Lernen. Es ist ein Schaffensprozess. Es braucht die Hände, das Bauchgefühl, das Ausprobieren ohne Anleitung. Spielen bedeutet, Dinge zu erkunden, weil sie da sind. Nicht weil sie nützlich sind.
Bei mir selbst merke ich: Ich bin ziemlich steif geworden. Schwer zu begeistern für „nutzloses“ Zeug. Immer die Frage im Kopf: „Und was bringt mir das?“ Als würde Leben nur nach dem ROI Prinzip funktionieren. Vielleicht lohnt es sich, das wieder zu verlernen.
„Unlocker-sein“ ist teils Teil von mir, Teil der deutschen Hochkultur. Aber das muss ja nicht so bleiben. Ein wenig mehr Quatsch im Kopf, eine Prise Lockerheit, einen Klecks Heiterkeit werde ich mir ja wohl noch erlauben dürfen! Und Nationen sind deswegen auch noch nicht zugrunde gegangen. Zumindest nicht das ich wüßte. Also los, machst du mit?
Aber Achtung, Claas: Nicht direkt wieder „zum Projekt machen“ (jeden Tag 10 Minuten spielen!), sondern als Erlaubnis: Es ist okay, Dinge zu tun, die nirgendwohin führen. Es ist okay, albern zu sein. Es ist okay, Zeit zu vergessen.
Andersmacher der Woche
Eine kleine Übung, um Gewohnheiten zu durchbrechen und Alltägliches neu zu entdecken.
Komm, wir suchen uns diese Woche etwas, das wir früher geliebt haben – etwas, das wir einfach nur so gemacht haben, ohne Grund. Vielleicht mal wieder ohne Plan herumkritzeln, im Zimmer allein zu Musik tanzen, das Spielzeug der Kinder für eigene Spielsession stibitzen, „Der Boden ist Lava“ spielen… Irgendwas! Einfach, um mal wieder lockerer zu werden. Weniger steif. Mehr Quatsch im Kopf.
Der Deal: 20 Minuten diese Woche. Nicht mehr – sonst wird’s wieder zum Projekt. Wir fangen einfach mal an mit etwas, das uns gerade in den Sinn kommt, und schauen, was passiert.
Nicht für Instagram. Nicht um in irgendwas besser zu werden. Einfach nur, weil’s Spaß machen könnte. Wenn der/die innere KritikerIn anspringt mit „Das ist doch albern“ oder „Was bringt dir das?“– ignorieren.
Ich bin gespannt, was passiert und freue mich über deine Rückmeldung dazu!
Soundpicks der Woche
Jeder Feierabend ist einzigartig. All Feierabende are beautiful. Dies ist mein Versuch, dieses Spektrum durch musikalische Hinter- oder Vordergrundbeschallung zu supporten. Jede Woche 5 Tracks für die Facetten deines Feierabends.
Für den Übergang | Different Styles of Smoothness
Miel De Montagne – Le roi Soleil
Miel de Montagne – ein junger französischer Typ, der eigentlich Milan heißt und ein wenig klingt wie ein trauriger Clown mit guten Ideen. Der „Sonnenkönig“ gleitet einfach durch die luftigen Flure von Versailles. Smooth ohne langweilig, entspannt ohne einschläfernd. Mit einem leichten Reggae-Groove, der dich sanft aus dem Arbeitsmodus holt.
ByteFM nannte das „luftig-beschwingt und zart-sonnig“. Ich nenne es: der Soundtrack für den Moment, wenn du merkst, dass deine Schultern drei Stockwerke zu hoch sind und du vergessen hast zu atmen.
Finde ich beruhigend in einer Welt, die mir dauernd erzählt, jeder Moment braucht ein Ziel.
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Hör das, wenn: Du leichtfüßig, beschwingt, das Büro verlässt und mit freudiger Erwartung dem kommenden Feierabend entgegenfieberst.
Für das Innehalten | Deep listening & meditation
Alabaster DePlume – Visit Croatia
Zurücklehnen. Durchatmen. Den Stress von den Schultern fallen lassen.
Alabaster DePlume – ein britischer Saxofonist mit einem Namen wie aus einem viktorianischen Roman – hat diesen Track ursprünglich für ein Instrumentalalbum geschrieben, das später sogar Bon Iver gesampelt hat. Das sagt schon was.
„Visit Croatia“ hat keine Melodie, die sich aufdrängt. Es ist eher wie ein Raum, in den du hineingehen kannst. Klavier, Saxofon, Cello – alles atmet. Gilles Peterson bezeichnete es als „perfect therapy“ für eine verunsicherte Welt. Und ja, das trifft’s ziemlich gut.
Der Sound, wenn dein Gehirn endlich aufhört zu rattern. Kein Meditieren, kein „Richtigmachen“. Nur: Raum für dich und vielleicht einen kleinen, sehnsüchtigen Gedanken an die kroatische Adriaküste.
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Hör das, wenn: Du nach Hause kommst und merkst, dass dein Kopf noch am Schreibtisch sitzt und auf den Bildschirm starrt.
Für eine Zeitreise | Vintage Vibes
Colette Magny – Les Tuileries
Paris, 1964. Eine Frau mit Gitarre und einer Stimme, die gleichzeitig Jazz-Bar und Protestmarsch ist. Colette Magny war die Léo Ferré unter den Frauen – nur dass sie, im Gegensatz zu ihm, fast vergessen wurde.
“Les Tuileries” ist eine Vertonung eines Victor-Hugo-Gedichts. Zwei lustige Burschen, die trinken und das bürgerliche Leben verspotten. Achja, die 60er. Jazzig, chansonig, locker, mit diesem französischen Twist, der alles ein wenig leidenschaftlicher wirken lässt.
Der Track ist kurz, flott, fast etwas frech. Wie ein Augenzwinkern aus einer anderen Zeit, als Musik noch nicht auf Spotify-Algorithmen optimiert war.
Manchmal braucht’s keine glatte Produktion. Manchmal reicht eine Gitarre und jemand, der singt, als hätte sie was zu sagen.
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Hör das, wenn: Du Lust hast auf etwas, das sich anfühlt wie ein Schwarz-Weiß-Film – aber mit Farbe im Herzen.
Für den Horizont | Allerweltsmusik
Elephant Gym – Go Through the Night
Taiwan trifft Japan trifft Math-Rock. Klingt verzwickt und kompliziert, ist aber überraschend zugänglich.
Elephant Gym sind drei Geschwister plus Schlagzeuger, die instrumentale Stücke machen, die eigentlich zu komplex sein müssten, um entspannt zu sein. Aber irgendwie schaffen sie’s. “Go Through the Night” sampelt ein Stück der japanischen Band Toe, fügt Bass- und Klaviermelodien hinzu und erschafft etwas, das sich anfühlt wie zwischen Traum und Wirklichkeit schweben.
Pitchfork nannte das Album “ihr beeindruckendstes Werk”. Andere schwärmen von “mellow and uplifting”. Beides stimmt, aber was mich am meisten fasziniert: Math-Rock heißt normalerweise verkopft. Elephant Gym heißt verspielt.
Perfekt für den Moment, wenn der Tag sich auflöst und du nicht weißt, ob du noch wach bist oder schon träumst.
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Hör das, wenn: Die Grenze zwischen “noch Feierabend” und “schon Bett” verschwimmt und das völlig okay ist.
Für den Flow | Global Groove
L’Eclair, The Mauskovic Dance Band – Homo Sapiens
Genf trifft Amsterdam. Psychedelic-Funk trifft Afro-Cumbia. Zwei Bands, die 2019 dachten: “Lass uns was zusammen machen.”
Das Ergebnis: ein Latin-Groove, der sich anfühlt wie lässiges Tanzen in der Küche. Nicht Club, nicht Performance – einfach Bewegung, weil’s gut tut. Mit Timbales, spacigen Synths und Vocal-Samples, die irgendwie von einem anderen Planeten kommen.
Das Label Bongo Joe beschreibt’s als “sleazy laidback groove” – lässig, aber funky. Hypnotisch und psychedelisch, aber ohne dass man sich Mühe geben muss. Du kannst die Augen schließen und einfach mitwippen. Oder aufstehen und mal schauen, was deine Extremitäten dazu zu sagen haben. (Ist schwer zu unterdrücken, ehrlich.)
Willkommen im Feierabend-Flow!
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Hör das, wenn: Du Bock hast, aber gerade nicht weißt, wo die Energie denn abgeblieben ist.
Zum Abschluss:
Es würde mich freuen, wenn der ein oder andere Song dir ein paar Minuten wohlverdiente Auszeit ermöglicht und dich bei deinem Feierabend, wie immer er auch aussehen mag, unterstützt. Falls ein Song besonders gut passt, bin ich gespannt darauf zu hören, in welchem Moment, in welcher Stimmung er dich gefangen hat.
Und wenn dir gefällt, was du liest und hörst, freue ich mich darüber, wenn du TAoMF abonnierst und mit einer Weiterempfehlung honorierst.
In diesem Sinne: Schönen Feierabend.
Claas