All Feierabende are beautiful
Mein kleines Manifest für alle, die müde sind von Feierabend-Gurus und 10-Punkte-Plänen zur Selbstoptimierung, aber die dennoch neugierig sind auf ehrliche Gedanken über das gute Leben.
Ich möchte dir nicht erzählen, wie „Feierabend geht“. Aber ich kann dir davon erzählen, was für mich funktioniert und dir Gedanken und Denkanstöße mitgeben.
Wenn dir gefällt, was du liest und hörst, freue ich mich darüber, wenn du TAoMF abonnierst und mit einer Weiterempfehlung honorierst.
Was bedeutet Feierabend für dich?
Und was kommt dir in den Sinn, wenn ich dir von der Kunst des Feierabendmachens erzählen möchte?
Erwartest du ein paar knackige Selbsthilfe-Life-Hacks, die dir mit einem einfachen 10-Punkte-Plan die Zeit nach der Arbeit effektiv und effizient versüßen? Oder bist du skeptisch, denkst vielleicht sogar: Was soll denn jetzt daran schon wieder Kunst sein? Noch so ein Selbstoptimierungs-Hype? Das ist halt Feierabend!
Ich selbst könnte mich hervorragend beiden dieser Lager anschließen. Und das hat nichts mit meiner Schwierigkeit zu tun, Entscheidungen zu treffen. Sondern vielmehr, dass, ähnlich wie bei der bekannten Nahrungsergänzungsmittelmarke, zwei Herzen in meiner Brust schlagen:
Das eine möchte dir stetig und umfassend von all den wunderbaren Möglichkeiten für deinen Feierabend erzählen, die das Leben bietet. Dich dazu ermuntern, den Feierabend in vollen Zügen auszukosten, mit allem, was da möglich ist!
Das andere Herz ist höchst skeptisch, wenn nicht sogar argwöhnisch, gegenüber all den Selbsthilfe-Gurus, Ratgeberinnen und Coaches, die versuchen halb gare Lebensweisheiten und Ratschläge zu Gold zu machen.
Das Paradox des bewussten Feierabends
Aber die Frage nach dem Feierabend ist schließlich Kernthema von TAoMF. Wenn ich sie mir nicht einmal selbst in aller Klarheit beantworten kann, wie soll ich dann dich davon überzeugen, dass hier eine wirklich wundervoll-romantische Idee und Vision drinsteckt?
Ja, ich weiß, wer Visionen hat, sollte lieber zum Arzt gehen. Stattdessen aber versuche ich es zunächst auf eigene Faust und sag’ es frei raus:
Ich möchte dir nichts verkaufen, aber mich dir mitteilen.
Es gibt so viel zu entdecken, also lass mich versuchen, deine Neugier zu entfachen (oder sie zumindest zu triggern).
Leb deinen Feierabend, wie du willst, und sch%*§! auf all die Ratgeber, Gurus und "I teach you how to live"-Handelsvertreter.
Auf meiner Substack Page habe ich schon ganz zu Beginn versucht, in Worte zu fassen, was mein Verständnis von Feierabend ist:
Wenn ich also vom Feierabend spreche, dann von Feierabend in seiner weitesten, wildesten, wunderbarsten und visionärsten Form! Ein Synonym für das „gute Leben“ par excellence – eine Ode an den Spaß, ein Tanz mit der Neugier, ein Fest des lebenslangen Lernens.
Feierabend als Bühne für Austausch, Abenteuer und achtsame Momente, die den Alltag in ein Kaleidoskop aus Inspiration und Lebenslust verwandeln.
Wenn ich das Ganze hier also The Art Of Making Feierabend nenne, dann mein ich damit authentische Selbstfürsorge und die Freude am Leben. Zumindest versuche ich, diesem Leitmotiv für meinen Feierabend zu folgen. Auch wenn das natürlich viel seltener so klappt, wie ich gern wollen würde! Aber man wächst ja bekanntlich mit seinen Aufgaben.
Von der antiken Muße zur Instagram-Performance
Feierabend scheint zunächst bloß als Konzept zu funktionieren, wenn man die Arbeit gleich mitdenkt. Feierabend ist das, was danach kommt. Aber Feierabend ist noch weit mehr als das.
Es ist auch eine historische Konstruktion, die geprägt ist von Industriekapitalismus und ArbeiterInnenkämpfen. Es ist keine natürliche Gegebenheit und schon gar nicht eine für alle gleich definierte oder gleich erlebbare. So unterschied schon die bürgerliche Kultur gewissermaßen und "respektable" und "unrespektable" Freizeitgestaltungen. Oper gut, Kneipe schlecht. Schach gebildet, Kartenspielen primitiv.
Im wachsenden Konsumkapitalismus wurde dann ein Preisschild dran gehängt. Und mehr und mehr entstand eine boomende Industrie für Freizeit und Entspannung. Wellness-Hotels, Fitness-Studios, ... you name it. Damit verbunden verfestigte sich auch immer mehr die Idee davon, dass "richtige" Erholung auch mit gewissen Kosten verbunden ist oder gar sein muss. Kostenlose Aktivitäten, wie z.B. spazieren gehen, dösen, nachdenken, wurden abgewertet.
Noch unsichtbarer sind solche Aktivitäten seit den 2000er und dem Aufkommen von Social Media geworden. Richtiges, neidbehaftetes Feierabendmachen hat hier eine riesige Bühne. Aber sie ist geprägt von reiner Performance. Unspektakuläre Entspannung und Nichtstun sind einfach nicht instagrammable.
Und als wäre das bislang nicht schon alles anstrengend genug, hat die Wellness-Industrie sich die Erkenntnisse der Wissenschaft zur Nutze gemacht und Entspannung und Erholung zum Feierabend selbst zur Wissenschaft erklärt.
Evidenzbasierte Methoden für richtiges Meditieren, Atmen, Sport machen, ... Nichtstun.
Als Selbstfürsorge getarnte Selbstoptimierung für einen weiterhin funktionierenden Turbokapitalismus. Denn je effektiver wir entspannen, desto produktiver können wir am nächsten Morgen auf der Arbeit erscheinen. Eine Win-win-Situation. Nur der Feierabend verliert.
Kurzer Exkurs: Der Eisbrecher
Fragen, die man selten stellt, deren Antworten aber spannend, witzig oder tief blicken lassen. Sie öffnen Türen zu Seiten, die du an anderen bisher nicht kennst. Beantworte sie erst selbst, dann stell sie deinen Lieblingsmenschen.
Wenn du eine "Gebrauchsanweisung für dich nach Feierabend" schreiben müsstest – welche drei Sätze würden darauf stehen?
Viele Wege führen zum Feierabend
Denn was bei all dem vergessen wird, sind unsere individuellen Bedürfnisse. Ja, es gibt effektivere Arten zu lesen als meine. Bessere Wege zu meditieren und noch gesündere Arten, mich zu ernähren und meinen Körper zu stärken. Aber eine universelle Formel, die uns zur Ruhe bringt und uns unser Leben genießen lässt?
Was mich entspannt, muss dich doch lange nicht entspannen! Wo Lesen von Sachbüchern mir Freude bereitet, kann es dich davonjagen. Was für mich wie Arbeit aussieht, ist für dich vielleicht pure Erholung.
Vier Prinzipien gegen die Performance-Falle
Wenn ich also Feierabend mit dem "gutem Leben" gleichsetze, dann nicht, weil Arbeit schlecht wäre. Und zugegeben ist das "gute Leben" auch für mich noch ein, sich in der Lösung befindendes, Puzzle. Weit davon entfernt, dir dein Puzzle beschreiben zu können.
Aber Feierabend ist der Raum, in dem wir alles können und nichts müssen.
Aristoteles nannte es Eudaimonia - das aufblühende Leben.
Nicht das optimierte, perfektionierte oder produktive Leben. Sondern jenes, das aus sich selbst heraus blüht. Etwas, das nicht von äußeren Einflüssen bestimmt wird, sondern sich in sich selbst findet. Feierabend ist die Zeit, in der wir nach unserer Uhr wachsen können.
Dabei finde ich hilfreich:
Experimentelle Haltung: auszuprobieren, was für mich funktioniert und was nicht - ohne es sofort zu bewerten.
körperliche Aufmerksamkeit: Was entspannt mich wirklich, was tut mir gut, was nicht?
Anti-Performance-Praxis: ich entspanne mich nicht für andere, nicht für Insta. Sondern für mich selbst!
Neugier: ich gebe mir Mühe, begeisterungsfähig und stets (so oft wie möglich!) neugierig zu sein. Dinge zu hinterfragen, aus anderen Blickwinkeln zu betrachten, eigene Muster zu erkennen und sie aufzubrechen.
Ob das nun dazu führt, dass du zum Experten für Basilikum-Zucht in dunklen Hinterhof-Küchen wirst, du feststellst, dass handwerkliche Projekte (auch wenn sie zu keinem vorzeigbaren Ergebnis führen) dich ungemein erden, oder du bewusst und mit großer Freude "Better Call Saul" bingewatchst.
ALL FEIERABENDE ARE BEAUTIFUL!
Nicht trotz, sondern wegen ihrer Verschiedenheit!
Es geht nicht darum, den "richtigen" oder "bewussten" Feierabend zu finden. Es geht nicht darum zu ergründen, wie sich die Foucaultsche Idee der "Selbstsorge" zur zeitgenössischen Wellness-Kultur verhält. Und auch nicht, welche existenzialistischen Perspektiven es auf die Authentizität individueller Erholungspräferenzen gibt.
Es geht allein darum, ehrlich und offenzubleiben für das, was dich wirklich entspannt und was dir guttut!
In diesem Sinne, schönen Feierabend!
Claas
Last, but not least: Der Andersmacher
Eine kleine Übung, um Gewohnheiten zu durchbrechen und Alltägliches neu zu entdecken. Denn manchmal braucht es nur einen anderen Blickwinkel, um wieder neugierig zu werden.
Nimm in der kommenden Woche jeden Tag einen anderen Weg nach Hause von der Arbeit. Es muss kein großer Umweg sein. Die andere Straßenseite, eine Ampel später, in einem anderen Supermarkt das Essen kaufen. Achte darauf, was dieser kleine Bruch mit deiner Routine macht.
Ps.: Was soll diese dumme Überschrift? Sie ist eine doppelt-vermoppelte Variante von A.C.A.B.! Aus “All cops are…” wurde zuerst “All Clowns are beautiful” …und dann “All Feierabende…". Ich weiß, spezieller Humor! 😊
Pps.: Click play & enjoy the summer!
Guter Beitrag dem ich nicht widersprechen möchte.
Vor dem Hintergrund deines AFAB und das du explizit die Klassenperspektive ansprichst möchte ich allerdings eine andere Perspektive einbringen.
Für den Kapitalisten hören mit dem Feierabend die Probleme auf. Der Mehrwert wurde erfolgreich abgeschöpft und es gibt keine Risiko des Widerstandes mehr. Zeit für Ruhe und Rendite.
Für den Arbeiter beginnen mit dem Feierabend die Probleme. Familie/Freunde/Hobbys/Erholung etc. Das alles zeitlich unter einen Hut zu bringen vor dem nächsten Arbeitstag ist nicht einfach. Und dann will das alles auch noch finanziert werden.
Feierabend nicht als Freiheit, sondern als Verschiebung der Front, an der man ums überleben kämpfen muss.