Über die Kunst, deine Screentime zu verringern (ohne dein Smartphone aus dem Fenster zu werfen)
Mit ein paar einfachen Änderungen den Tricks der Attention Economy gekonnt den Mittelfinger zeigen!
Feierabend ist nicht nur die Zeit nach der Arbeit, sondern Zeit für all das Leben in deinem Leben. TAoMF erkundet, neben wöchentlichen Soundlettern, das gesamte Spektrum eines gelungenen Feierabends. Wie immer er auch aussehen mag.
Die Aufmerksamkeit anderer Menschen ist die unwiderstehlichste aller Drogen.
Georg Franck, Ökonomie der Aufmerksamkeit
Und sie ist nicht nur unwiderstehlich, sondern zugleich auch verdammt lukrativ. Was mit dem Versprechen begann, unser Leben einfacher, produktiver, gehaltvoller, inspirierter zu machen, ist dabei zu kippen und uns in depressive, dopaminsüchtige Zombies zu verwandeln.
Okay, das mag vielleicht ein wenig überspitzt formuliert sein, aber dennoch. The struggle is real!
Aber diese Erkenntnis ist mittlerweile nicht mehr neu. Vielleicht ist sie langsam sogar salonfähig: Das Smartphone, oder vielmehr viele Programme, die darauf laufen, tun uns immer seltener gut. Anstatt uns Arbeit abzunehmen, stehlen sie uns Zeit. Anstatt dass sie uns Menschen näherbringen, verringern sie die Nähe zu unseren Liebsten. Anstatt dass sie uns inspirieren und tief berühren, entertainen sie uns so gut wie eine mittelmäßige Sendung „Wetten, dass …???“. Wenn’s gut kommt.
Das Problem an der Sache ist, dass unsere Smartphones uns nicht nur zufällig süchtig machen. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse jahrelanger Forschung aus Verhaltenspsychologie, der Neurowissenschaft, der Verhaltensökonomie und der kognitiven Psychologie werden gezielt eingesetzt, um unsere Aufmerksamkeit zu steuern und zu manipulieren.
Nachdem ich eine Weile dachte, ich hätte die Sache im Griff, ist mir nun aufgefallen, dass „die Gegenseite“ aufgerüstet hat und ich dringend meine Abwehrmaßnahmen updaten und verstärken muss.
Dieser Artikel gibt dir einen Überblick über die gängigsten Manipulationsversuche der Attention-Economy, was genau sie bewirken und welche Methoden dabei helfen, die eigene Bildschirmzeit zu verringern, ohne sich dabei in komplette digitale Abstinenz stürzen zu müssen.
Ich habe alle Tipps selbst getestet oder wende sie an.Dennoch ist es ein täglicher Battle mit dem Smartphone und mir gegen mich selbst. Es ist weniger ein „Mach das alles und du bist frei!“-Ding, sondern vielmehr eine „Nimm das, was für dich am besten passt“-Empfehlung. Und dieser Guide ist ebenso ein erhobener Zeigefinger und Reminder an mich selbst. In der Hoffnung, er möge Wirkung zeigen.

Eisbrecher der Woche
Fragen für dich und andere Menschen. Zuerst für dich selbst beantworten, dann im Hinterkopf für’s nächste Gespräch behalten und die Frage selbst stellen. Denn Feierabend macht man nicht nur allein!
Was vermisst du am meisten aus der Zeit, bevor es Smartphones gab?
Weißt du noch, damals? Als eine SMS 9 Cent gekostet hat und man Freunde, mit denen man spielen wollte, einfach am Türsummer gefragt hat, ob sie Zeit haben? Oder als die Aktenordner einfach im Büro geblieben sind?
Was genau vermisst du an der Zeit vor dem Smartphone? Oder, falls du diese Zeit gar nicht mehr kennst: Auf welche Smartphone-Funktion würdest du am liebsten verzichten? Telefonieren, E-Books, Navigation?
Willkommen in der Spielhölle: Warum dein Smartphone wie ein Casino funktioniert
Früher nannte man es „im Web surfen“. Jetzt stellt sich heraus, dass wir von der Welle an Informationen mitgerissen worden sind und wir orientierungslos umher treiben auf unserem kleinen Surfbrett. Als logische Konsequenz darauf hat sich die Attention Economy entwickelt. Überall tauchen Leuchttürme am Horizont auf, die blinken und dir mutmaßlich einen sicheren Weg in den, in ihren, Informationshafen zeigen wollen.

Ich denke, dir sind die groben Spielregeln klar: Wenn es kostenlos ist, bezahlst du mit deinen Daten. Oder mit deiner Aufmerksamkeit. Oder beidem. Denn deine Aufmerksamkeit bedeutet für die Plattformen Geld, weil mehr Zeit für das Platzieren von Werbebotschaften entsteht. Und je länger du verweilst, desto besser die Daten, also effektiver die Werbewirkung.
Soweit, so klar. Aber da muss man ja nicht mitspielen, könnte man sagen. Stimmt! Nur dass du Schnick-Schnack-Schnuck (ohne Brunnen!) spielen willst und dein Gegenüber bereits mit der Partie GO angefangen hat, ohne dich!
Wobei dein Smartphone eher einer dieser Spielhöllen in Las Vegas gleicht. Das Stichwort heißt „variable Belohnung“ – genau das, hat einarmige Banditen so erfolgreich gemacht. Jedes Mal, wenn du dein Handy entsperrst, Instagram öffnest oder deine Mails checkst, weiß dein Gehirn nicht, was es erwartet. Vielleicht gibt’s eine nette Nachricht. Vielleicht ein Like. Vielleicht gar nichts. Diese Ungewissheit – diese Vielleicht-gibt’s-was-Gutes-Spannung – ist es, die unser Belohnungssystem triggert und Dopamin ausschütten lässt. Und je unerwarteter die zu erwartende Belohnung, je unregelmäßiger, desto mehr triggert es uns.
Dazu kommt, dass mittlerweile fast jedes Detail einer x-beliebigen App so designt wurde, um ganz bestimmte Reaktionen bei dir zu triggern, die dich neugierig auf mehr machen und deine tägliche Screentime gen unendlich ausdehnen.
Diese Designs sind vielfältig. Sie fangen an bei dem kleinen roten Punkt über dem App Icon, führen über endlose Feeds (Infinite Scroll), bei denen wir bis zur Unendlichkeit weiterscrollen können, und hören auf in einem unentkommbaren Labyrinth, wenn es darum geht, dass Abo zu kündigen oder die Benachrichtigungen abzuschalten.
Hinter jeder noch so kleinsten Design-Entscheidung steckt wohlmöglich das Ergebnis langer Forschung und vieler Versuche. Der Button ist jetzt rot anstatt blau – nicht weil es besser aussieht, sondern weil es den Return on Invest langfristig um 0,1 %-Punkte heben könnte.
Kenne deinen Feind: Dark Patterns und wie du sie austrickst
Das mag alles hart klingen und vielleicht sogar übertrieben. Aber es ist real, denn sogar die Verbraucherschutzzentrale hat dazu ein PDF erstellt. Wenn das kein Alarmsignal ist!
Dem Motto „Kenne deinen Feind“ folgend hilft es, sich die gängigsten „persuasive Designs“, also Feinheiten in der Programmierung, die süchtig machen, einmal zu Gemüte zu führen. Aber weil es sehr, sehr, sehr viele sind und ich nicht die Intention habe, darüber ein Buch zu schreiben, hier nur eine Auswahl derer, an denen wir auch etwas ändern könnten. Für einen umfassenderen Überblick wirst du zum Beispiel hier fündig.
Beim Feinjustieren deiner Handyeinstellungen geht es nicht darum, das Suchtpotenzial komplett auszuschalten. Es ist eher wie beim Einbruchschutz. Jede weitere Schicht, jeder weitere Schwierigkeitsgrad, den du einbaust, führt dazu, dass Diebe es schwieriger haben, mehr Willen beweisen müssen, mehr Zeit brauchen, wenn sie einbrechen wollen.
Ähnlich ist es mit den folgenden Einstellungen. Es geht darum, unnötige Trigger auszuschalten und vereinzelt ein paar Sekunden mehr Entscheidungsfreiraum einzubauen, in denen du aus dem angelernten Automatismus schlüpfen kannst. Das Ziel ist nicht, perfekt zu sein. Das Ziel ist, Reibung zu erzeugen. Je schwieriger du es dir machst, zum Handy zu greifen, desto öfter wirst du es lassen.
Die Toolbox: Kleine Hürden mit großer Wirkung
Apps aufräumen: First things first und sei jetzt ehrlich zu dir: Wie viele Apps sind auf deinem Smartphone und welche davon benötigst du wirklich?Also so richtig absolut, definitiv, 100-prozentig? Messenger, Navigation, Musikplayer, Notizen, Kalender, Wetter, vielleicht E-Mail? Ein Blick in Nutzungsstatistiken kann helfen. Das Gute am Aussortieren: mehr Platz, mehr Fokus, weniger Grundrauschen. Ein aufgeräumter Homescreen bringt Ruhe, ähnlich wie ein aufgeräumter Schreibtisch.
Homescreen säubern: Baue Hürden ein, um deine Lieblingssucht-Apps zu erreichen. Vielleicht reicht es schon, sie vom Homescreen zu löschen. Zweimal klicken, mehr kann schon genau diese Zeit sein, die es braucht, um in dir die Frage aufkommen zu lassen: Wieso will ich gerade Instagram öffnen? Je unattraktiver für dich, desto besser! Such nach deinem Sweet Spot. Und falls das alles nichts hilft: App löschen. Fast alle Dienste sind auch über den Browser zu erreichen, wenn du sie brauchst. Nur halt ein wenig weiter entfernt und vielleicht nicht ganz so komfortabel. Aber ist das wirklich schlimm?
Benachrichtigungen stark reduzieren: Schaue an, welche Apps dir Benachrichtigungen senden können, und schalte alle aus. Nur behalten: Anrufe, SMS, Kalendererinnerungen, wichtige Messenger (1–2 max.). Alles andere aus: Social Media, News, E-Mail, Shopping, Games. So entscheidest du, wann du dich entertainen lassen möchtest, und nicht dein Handy.
Manche Plattformen bieten bewusst undurchsichtige Benachrichtigungseinstellungen an, sodass die Verwirrung selbst dem Plattforminteresse dient. Allein das ist ein Wink mit dem Zaunpfahl, worum es hier wirklich geht! Im Zweifel findest du aber im Internet Anleitungen, die dir bei deiner App weiterhelfen!
Badge-Icons ausstellen: Du kennst sie. Diese kleinen roten Punkte oder auch Zahlen über einem App-Symbol, die dir anzeigen: Da ist etwas Neues passiert. Es triggert dein FOMO – Fear of missing out! Und die Benachrichtigungssymbole sind nicht zufällig rot. Rot signalisiert Dringlichkeit, Gefahr, Handlungsbedarf. Unser Gehirn reagiert darauf automatisch – wir müssen nachschauen. Nein, musst du nicht!
App-Timer: Setze dir selbst Limits! Android und Apple haben beide im System integrierte Möglichkeiten, für einzelne Apps tägliche Nutzungslimits festzulegen. Wenn die Zeit abgelaufen ist, wird die App für den Rest des Tages geblockt. Sei am besten konsequent, kein: Heute verlängere ich mal. Ausnahmsweise…
Extra: Apps wie One Sec gehen noch einen Schritt weiter: Bevor eine App startet, zwingt sie dich dazu, kurz durchzuatmen, und fragt dich: Willst du wirklich? 5-10 Sekunden, die sich manchmal wie eine Ewigkeit anfühlen und dir dabei den Spiegel vorhalten. Es gibt viele ähnliche Apps und Tools, ein paar mehr habe ich im letzten Soundletter angeführt.
Autoplay: Wo möglich, schalte Autoplay aus. Ob bei YouTube, Spotify, Netflix usw. Das nächste Video oder Lied startet automatisch, bevor du überhaupt entscheiden kannst, ob du es sehen willst. Das ist passive Zustimmung statt aktiver Entscheidung und das Gegenteil von dem, was wir wollen.
Greyscale-Modus: Mach es unsexy. Zugegeben, der Graustufenmodus ist next level. Er verändert das Nutzerinnenerlebnis. Versuch’s kurz auf Insta oder TikTok, und du verlierst die Lust. Es klingt banal, ist aber erstaunlich effektiv. Forscher haben herausgefunden, dass er die Dopamin-Response um etwa 57 % reduzieren kann. Instagram in Graustufen ist wie ein Club bei Tageslicht. Plötzlich ist der Zauber weg und es stinkt.
Face-ID oder Fingerprint ausschalten: Ja, es ist komfortabel, nicht jedes Mal den PIN-Code oder das Muster nachzuwischen. Aber auch hier baust du mit dem Deaktivieren eine weitere Hürde ein.
Nicht stören!: Auch das haben fast alle Betriebssysteme integriert. Automatische Do-not-Disturb-, Fokus- oder Schlafenzeiteinstellungen. So etwas wie einen Flugmodus, der nur noch bestimmte Mitteilungen wie Anrufe oder Wecker in gewissen Zeitfenstern durchlässt. Auch das führt dazu, dass du wieder aktiv entscheiden kannst. Keine Außensignale vor 8 und nach 21 Uhr. Do not disturb während meiner Deep-Work-Fokusarbeitsphase. Apps wie Forest können hier auch gut supporten.
Extra: Mit Services wie freedom.to oder Cold Turkey kannst du Websites und Dienste plattformübergreifend für dich zu gewissen Zeiten blockieren. Denn auch ich habe schon einfach zum Laptop gegriffen, um dort weiterzuscrollen, wenn die Screentime am Handy abgelaufen war.
Natürlich gibt es darüber hinaus noch etliche weitere sinnvolle und vielleicht auch notwendige Feinjustierungen, die sich lohnen. Die Location-Services einschränken, Background-Refresh von Apps ausschalten, personalisierte Werbung und Empfehlungen, wo es geht, minimieren und vieles mehr. Wenn du angetriggert bist, einfach mal „Dark Pattern“ oder „persuasive Design“ + „die App deines Vertrauens“ suchen. Es gibt mit Sicherheit ein paar umfassende Dokumentationen und Tutorials mit weiteren Gegenmaßnahmen.
Deine eigenen Systemeinstellungen: Warum greifst du eigentlich zum Handy?
Aber wir sind nicht nur darauf beschränkt, die Einstellungen auf unserem Handy zu verändern. Auch unsere eigenen Systemeinstellungen können wir versuchen zu beeinflussen, nachdem sie schon eine Weile von unseren Apps manipuliert worden sind.
Dabei dreht sich eigentlich alles um die zentrale Frage: Warum will ich gerade aufs Handy schauen?
Ich tippe auf mindestens eines hiervon:
Langeweile – ich suche neue Stimulation (obwohl es sich lohnt, Langeweile auch mal wieder zuzulassen!),
Gewohnheit – alles in mir ist darauf programmiert, das Handy unbewusst in die Hand zu nehmen, oder
Unbehagen – ich fühle mich unwohl (gestresst, ängstlich, gelangweilt) und suche Ablenkung.
Eher selten ist die Antwort: Ich habe ein echtes, bewusstes Informationsbedürfnis. Aber genau das sollte der einzige legitime Grund sein, oder nicht?
Allein das Bewusstmachen dieser Trigger kann helfen. Du musst nicht jedes Mal widerstehen. Aber du weißt, was passiert.
Routinen und Commitment Devices
Hier kannst du kreativ werden, um dir selbst aus der Patsche zu helfen. Zum Beispiel durch das Ersetzen einer Routine mit einer anderen. Jedes Mal, wenn dir auffällt, dass du wieder ohne Grund zum Handy gegriffen hast, und wieder YouTube geöffnet hast, nimmst du dir kurz Zeit und schreibst deiner Muddi eine SMS, dass du sie gern hast. Auch ihr wird ziemlich schnell auffallen, dass da was nicht stimmt! Alternativ: Dreimal tief ein- und ausatmen oder einen Schluck Wasser trinken tut es sonst auch für den Anfang. (In Hinblick auf unsere Pausen-Hygiene ohnehin nicht die schlechteste Idee!).
Andere Möglichkeiten lassen sich unter dem Begriff „Commitment Devices“ zusammenfassen. Oder auch Konsequenzen und Barrieren, um dich selbst aufzutricksen. Kündige etwa deinen Freunden an, im Januar auf alle Social-Media-Kanäle zu verzichten – das erzeugt Druck, aber einen, den du dir selbst auferlegt hast.
Oder du legst dein Handy, wenn du nach Hause kommst, in den Safe. Na ja gut, das ist vielleicht nur nötig, wenn es wirklich schlimm um dich steht. Ansonsten reicht es vielleicht, wenn du dein Sofa, dein Schlafzimmer (es gibt weiterhin analoge Wecker!) oder den Esstisch zur Handyfreien-Zone erklärst. Wie heißt es so schön: Gelegenheit macht Diebe. Und ohne Handy im Blickfeld, denkst du auch weniger daran.
Es wurde nachgewiesen, dass die bloße Anwesenheit eines Smartphones dazu führt, dass die Qualität unserer Gespräche messbar sinkt und wir uns weniger verbunden fühlen – selbst dann, wenn das Handy ausgeschaltet neben dem Teller liegt. Ein kleiner Teil in unserem Hirn lässt stets gewisse Kapazitäten frei, um auf mögliche Signale des Smartphones vorbereitet zu sein, um schnell darauf zu reagieren. Verrückt, nicht wahr?
Und wenn all das nicht helfen sollte, du dich weiterhin selbst austrickst, bleibt immer noch die Option, zu einem „Dumb-Phone“ zu greifen. Ein Telefon, mit dem man telefonieren kann, SMS schreiben und basta. Richtig gehört. Klingt drastisch. Aber wie heißt es so schön: Manchmal erfordern schwierige Situationen drastische Maßnahmen. Nach meinem Kenntnisstand, ist aber noch niemand dadurch ums Leben gekommen, soweit ich weiß. 🙃
Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen
Okay, sorry! Jetzt mit Kant um die Ecke zu kommen, ist vielleicht ein wenig zu doll. Aber dennoch: Der vielleicht wichtigste Punkt ist es, zu verstehen, was die Plattformen mit dir, mit uns machen.
Studien zeigen, dass “Critical Media Literacy” – also das bewusste Erkennen von Manipulationstaktiken – Impulsklicks um etwa 41% reduzieren kann. Nicht durch Willenskraft, sondern durch Wissenskraft.
Wenn wir also in der Lage sind, „Dark Patterns“ zu erkennen, fallen dir diese Muster immer häufiger auf und sie verlieren ihre Wirkung. Ähnlich wie bei einem Zaubertrick: Wenn du weißt, wie er funktioniert, ist der Zauber vorbei.
Je mehr es uns gelingt, wieder aktiv und bewusst selbst zu entscheiden, wann wir was auf unserem Smartphone tun, desto sinnhafter wird auch das Ganze wieder werden. Wie oft habe ich schon aus einem Automatismus heraus eine APP geöffnet, darin 30 Minuten meines Lebens verplämpert, um danach festzustellen, dass ich mich nicht an eine detaillierte Sache davon erinnern kann, die einen wirklichen Mehrwert hatte! Soll nicht heißen, dass wir jegliche Form von stupider Berieselung aus unserem Leben verbannen müssen. Aber der Unterschied zwischen „Ich öffne Instagram, weil ich mich dafür entschieden habe“ und „Ich öffne Instagram, weil eine Push-Nachricht kam“, ist gewaltig.
Oder umformuliert: Frage dich, wenn du zum Handy greifst: Wer hat gerade entschieden, dass ich das tue? Ich – oder die App?
Und jetzt nicht stressen!
Okay, ich weiß: Das war jetzt viel. Variable Belohnungen, Dark Patterns, Infinite Scroll, Critical Media Literacy … Wenn du jetzt denkst: Wie bitte soll ich das alles umsetzen? Da bleibt ja keine Zeit mehr fürs Handy! Äh, ich meine, fürs Leben! – dann verstehe ich das.
Aber hier ist die wichtigste Botschaft dieses Texts: Du musst nicht alles auf einmal machen.
Stattdessen: Pick dir EINE Sache aus. Eine einzige. Die, die sich für dich machbar anfühlt. Probiere sie eine Woche lang aus. Schau, ob es einen Unterschied macht. Wenn ja, super. Wenn nicht, probiere etwas anderes.
Und wenn du doch wieder 45 Minuten durch TikTok gescrollt hast, obwohl du eigentlich nur „kurz“ schauen wolltest? Keine Selbstgeißelung. Kein schlechtes Gewissen. Das bringt nichts, außer dass du dich noch schlechter fühlst und dann – Überraschung – noch mehr scrollst, um das schlechte Gefühl loszuwerden.
Fehlerfreundlichkeit ist das Stichwort. Du wirst Rückfälle haben. Das ist normal. Das ist menschlich. Die Frage ist nicht, ob du scheiterst, sondern wie du damit umgehst. (Notiz an mich: Wiederhole diesen Satz 3 vor dem Schlafengehen, Claas!)
Mein Ansatz: Jedes Mal, wenn ich mich dabei erwische, wie ich gedankenlos scrolle, beschimpfe ich mich nicht selbst. Stattdessen versuche ich mir zu sagen: „Oh okay interessant. Da hat mich die App mal wieder ausgetrickst. Okay, was wollte ich eigentlich?“ Und versuche ich es wegzulegen.
Manchmal klappt das. Manchmal nicht. Aber im Durchschnitt klappt es öfter als früher. Und das reicht. Der Weg ist das verdammte Ziel! Oder zumindest sollten wir den schönsten Weg zum Ziel nehmen, und nicht mit den all den Werbebotschaften links und rechts am Wegesrand! 🙃
Meine Erfahrung ist, dass es sich lohnt, sich einmal eine Stunde Zeit pro Jahr zu nehmen, um den rechteckigen, digitalen Begleiter aufzuräumen, auszumisten und ruhigzustellen. Du wirst schnell merken, dass du diese Zeit im Handumdrehen wieder drin hast.
Zum Schluss: Es geht nicht ums Verteufeln
Ich möchte das hier nicht beenden, ohne etwas Wichtiges zu sagen: Es geht nicht darum, Technologie zu verteufeln.
Smartphones sind unglaubliche Werkzeuge. Sie verbinden uns mit Menschen auf der ganzen Welt. Sie geben uns Zugang zu mehr Wissen, als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte verfügbar war. Sie machen vieles einfacher, schneller, besser.
Das Problem ist nicht das Smartphone. Das Problem ist, wer die Kontrolle hat.
Wenn du bewusst entscheidest, eine Stunde auf YouTube zu verbringen, weil du ein interessantes Thema recherchierst – großartig. Wenn du bewusst entscheidest, eine halbe Stunde durch Instagram zu scrollen, weil du gerade Bock drauf hast – cool.
Das Problem beginnt dort, wo du nicht mehr aktiv entscheidest. Wo der Algorithmus entscheidet. Wo dein Daumen oder das rote Benachrichtigungs-Icon ungefragt entscheidet.
Die Frage ist nicht: Handy ja oder nein? Die Frage ist: Wer bestimmt, wann ich draufschaue – ich oder ein Algorithmus?
Und diese Frage zu stellen – sie sich immer wieder zu stellen, jeden Tag, bei jeder Entsperrung – ist vielleicht der wichtigste Schritt überhaupt. Ein weiterer wäre vielleicht, ein paar Apps durch ihre besseren Alternativen zu ersetzen, dazu aber an anderer Stelle noch einmal mehr.
So, das war’s. Ich hoffe, ein paar der Tipps oben können dir ein paar Minuten bewussten Feierabend freischaufeln. Außerdem würde ich mich wirklich freuen, von deinen Gedanken und Erfahrungen zum Thema „Bildschirmzeit“ zu hören. Was klappt für dich gut, was überhaupt nicht? Hast du schon mal versucht, deine Screen Time bewusst zu reduzieren? Oder findest du das alles übertrieben und scrollst fröhlich weiter? Auch über weitere Tipps, die ich nicht aufgeführt habe, bin ich mehr als dankbar.
Alle Meinungen sind willkommen. (Außer von Algorithmen. Die können draußen bleiben.)
In diesem Sinne: Tausend Dank für die Aufmerksamkeit & einen schönen Feierabend.
Claas
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Quellen und weiterführende Lektüre:
Jenny Odell: “How to do Nothing: Resisting the Attention Economy”
Nir Eyal: “Indistractable: How to Control Your Attention and Choose Your Life”
Sandi Mann: “The Upside of Downtime: Why Boredom is Good”
Gloria Mark: Forschung zu Attention Residue und Digital Distraction
Sabine Sonnentag & Charlotte Fritz: Stressor-Detachment-Modell
P.S.: Wenn du diesen Text bis hierhin auf deinem Handy gelesen hast – Respekt. Aber vielleicht ist jetzt ein guter Zeitpunkt, es mal wegzulegen. Nur so als Idee.


