Deep Talk is not dangerous – Von der unterschätzten Leichtigkeit bedeutungsvoller Gespräche
Wie Deep Talk von oberflächlicher Dauerbeschallung befreit und zu mehr Klarheit im Kopf und Herzen führt.
Von seichten Gewässern in die Tiefe: Dieser Newsletter setzt meine Juni-Erkundung über zwischenmenschliche Kommunikation fort – diesmal über Gespräche, die unter die Haut gehen und warum wir sie mehr fürchten als nötig.
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Das erwartet dich heute:
Warum wir uns unbewusst vor Deep Talk fürchten (obwohl die Wissenschaft das Gegenteil beweist)
Die 4-Säulen-Methode für authentische Gespräche
Und welche Themenbereiche Deep Talk verhindern
„Das echte Gespräch bedeutet: aus dem Ich heraustreten
und an die Tür des Du klopfen.“
Albert Camus
Small Talk ist ja ganz nett. Aber nett ist bekanntlich auch der kleine Bruder von Sch… Du weißt schon! Das, was wir doch eigentlich alle wollen, ist Deep Talk. Tiefe, authentische Gespräche, die uns unserem Gegenüber näher bringen. Die ein Gefühl von emotionaler Nähe und Verbundenheit auslösen. Die dazu führen, dass wir uns verstanden fühlen.
Dennoch fällt es uns nicht immer leicht, diese tiefen Gespräche auch zu führen. Laut einer Studie im Journal of Personality and Social Psychology beschränken wir uns häufig sogar bewusst auf Small Talk. Wir fürchten, es könnte in einer unangenehmen Situation münden. Das scheint in der Natur der Sache zu liegen: tiefe Gespräche bedeutet, seine Gedanken, Gefühle und Einstellungen zu offenbaren, sich womöglich angreifbar zu machen. Dann doch lieber den sicheren Weg, als Risiko einzugehen.
Diesen Modus kenne ich von mir selbst nur allzu gut. Und das aus verschiedenen Situationen. Sei es der Moment während der Arbeit, nachdem man eine Aufgabe auf den Schreibtisch gelegt bekommt, die nicht innerhalb der regulären Arbeitszeit machbar ist. Anstatt offen das Gefühl der Überforderung anzusprechen …, lieber nicken, anfangen zu arbeiten und den Ärger in sich reinfressen. Oder aber von verschiedenen Gesprächen mit meiner Freundin, wenn ich aus unbewusster Furcht vor emotionaler Tiefe automatisch "dicht mache".
Mit großer Wahrscheinlichkeit bin ich ein größerer Vermeider, als das Mittel der Gesellschaft. Die Daten zeigen aber (zum Glück), allein bin ich damit nicht. Und obwohl ich mich als rational denkenden Menschen bezeichnen würde, handle ich in diesen Situationen meist irrational. Denn diverse Studien belegen, dass Menschen nach tiefen Gesprächen, auch wenn sie im Vorfeld die Befürchtung hatten, sie könnten unangenehm werden, glücklicher sind. Sich zu öffnen, schafft Verbundenheit. Sich verbunden zu fühlen, macht glücklich. Der Mensch ist nun mal ein soziales Wesen.
Der Eisbrecher
Fragen, die man selten stellt, deren Antworten aber spannend, witzig oder tief blicken lassen. Sie öffnen Türen zu Seiten, die du an anderen bisher nicht kennst. Beantworte sie erst selbst, dann stell sie deinen Lieblingsmenschen.
"Was war das letzte Gespräch, das dich wirklich verändert hat – und was hat der andere gesagt oder gefragt, das den Unterschied gemacht hat?"
Quick-Check für dich: Kannst du diese Frage spontan beantworten? Falls nein – vielleicht ist das schon der erste Hinweis darauf, dass mehr Deep Talk in dein Leben gehört.
Deep Talk: It's simple, but not easy!
Sich also einmal Deep Talk von einer analytischen Ebene anzuschauen, sich zugrunde liegende Mechanismen einzuverleiben und das ein oder andere Tool aus dem kommunikativen Werkzeugkasten vor Augen zu führen, könnte also durchaus eine Reise wert sein.
Was also sagt die Wissenschaft, was raten uns Expertinnen, wenn es um bessere Kommunikation geht? Wie gelingt der Switch von Small zu Deep Talk, was hilft dabei, die Gesprächsthemen zu vertiefen?
Die destillierte Antwort: Sei kein Arschloch, stelle Fragen und höre zu!
Ein wichtiger Punkt ist, dem Gegenüber psychologische Sicherheit zu geben. Schließlich geht es darum, sich zu öffnen. Das fällt leichter in einer Atmosphäre, in der wir uns sicher fühlen. Erstes Fundament dafür kann schon im vorangegangenen Small Talk gelegt worden sein. Am besten gelingt das, wenn man sich authentisch, ehrlich, integer und wohlwollend zeigt und verhält. Wer will sich schon mit einer Person austauschen und offen zeigen, der man nicht zu gewissem Grad Vertrauen schenkt? Ebenso sind folgende Aspekte von besonderer Relevanz:
Die vier Säulen für guten Deep Talk
Sei interessiert, sei neugierig!
Fühl dich an meine Newsletter zum Thema Neugier erinnert.
Auch für guten Deep Talk ist sie unerlässlich. Denn durch aktivierte Neugier ist der Sprung von Small zu Deep schnell gemacht. Zeige echtes Interesse an der Person gegenüber. Ohne dieses wird jedes Gespräch schnell langweilig, starr und vielleicht sogar unangenehm.
Stelle die richtigen Fragen!
Um tiefer zu gelangen zu den Emotionen, Perspektiven und Werten, bedarf es anderer Fragestellungen als Ja/Nein-Fragen. Die wichtigsten Typen:
Offene Fragen zu Werten und Erfahrungen – "Was denkst du über...?" "Welche Erfahrungen hast du damit gemacht?"
Follow-up-Fragen – "Was meinst du genau damit?" "Was hat dich daran begeistert?"
Gefühlsfragen – "Wie fühlst du dich damit?" "Was hat dich daran berührt?"
Fragen, die zum Urteil einladen - z.B. "Glaubst du, das war der beste Weg für dich?"
Das sind natürlich nur ein paar Beispiele. Aber sie verdeutlichen das Ziel, nämlich, Reflexionsraum für kognitive oder emotionale Tiefe zu öffnen. Und besonders wichtig: Frag, wenn du etwas nicht ganz verstehst.
Zuhören, mit der Absicht zu verstehen.
Dein Gegenüber sagt etwas, das dich triggert – und du willst sofort reagieren. Doch das Gespräch geht weiter, du hörst nur noch halb zu, weil dein inneres Antwort-Team schon auf dem Sprung ist. Die Folge: Du verpasst Wichtiges und gehst am eigentlichen Punkt vorbei.
Keine gute Grundlage für ein vertrauensvolles Gespräch auf Augenhöhe. Deshalb hilft es, sich immer wieder vor Augen zu führen: Höre nicht zu, um zu antworten, sondern um zu verstehen! Und außerdem: sei immer darauf gefasst, dass dich dein Gegenüber überraschen und beeindrucken könnte!
Be prepared to be amazed by everyone you meet - everyone has something interesting about them.
Zeige deine eigene Verletzlichkeit
Das Benennen und Teilen von eigenen Emotionen und Gefühlen zeigt dem Gegenüber: Mir geht es auch so, wir sind uns ähnlich. Es baut Verständnis auf und stärkt die Verbindung, das Zugehörigkeitsgefühl.
Rückblick: die 3 Gesprächstypen nach Charles Duhigg
In meinem letzten Beitrag über Small Talk habe ich die 3 Gesprächstypen nach Charles Duhigg aufgegriffen.
Zur Erinnerung: die meisten Konversationen lassen sich in drei Bereiche gliedern: What’s this really about?, How do we feel? und Who are we? Oder anders formuliert: Möchtest du Hilfe, Halt oder ein offenes Ohr?
Es bedarf dabei durchaus ein wenig Übung, um den jeweiligen Gesprächstyp zu identifizieren. Charles Duhigg schlägt deshalb vor, in den ersten Minuten eines Gesprächs sich ein paar Minuten Zeit zu nehmen, um den momentanen Gesprächstyp des Gegenübers zu erkennen. Ein Match der Gesprächstypen vereinfacht den Übergang in tiefere Gesprächsthemen.
Was Gespräche im Keim erstickt
Auch wenn Körpersprache einen großen Teil in unserer Kommunikation einnimmt. Ganz unrelevant ist es dennoch nicht, was wir sagen. Julien Treasure, Kommunikationsexperte und Speaker führt in seinem TED-Talk »How to Speak So That People Want to Listen« folgende Punkte an, über die man vermeiden sollte zu sprechen:
Tratsch
Urteilen
Negativität
Jammern
Ausreden
Dogmatismus
Alles grundsätzlich vollkommen logisch. Aber wenn ich ehrlich auf letzte Gespräche zurückblicke, finde ich einige dieser Punkte auch bei mir wieder. Sie in dieser Form zu sehen, hilft mir bei einem Realitätscheck.
Ebenso wird Deep Talk erschwert, wenn sofortige Lösungsangebote ("Du solltest einfach...”), Vergleiche mit eigenen Erfahrungen ("Bei mir war das so...") oder vorschnelle Bewertungen und Urteile ausgesprochen werden ("Das ist doch nicht so schlimm"). Allesamt Dinge, an denen ich definitiv noch Arbeiten muss. Oder sagen wir eher: will!
Andersmacher
Eine kleine Übung, um Gewohnheiten zu durchbrechen und Alltägliches neu zu entdecken. Denn manchmal braucht es nur einen anderen Blickwinkel, um wieder neugierig zu werden.
Stelle bei jedem Gespräch mindestens drei echte Nachfragen, bevor du selbst etwas erzählst. Zum Beispiel: 'Was meinst du genau damit?' oder 'Wie fühlst du dich dabei?'
Challenge für diese Woche: Probier das bei drei verschiedenen Gesprächen aus. Teile dann deine Erfahrung in den Kommentaren – was ist dir aufgefallen? War es schwerer oder leichter als gedacht?
Warum ausgerechnet nach Feierabend?
Paradox: Den ganzen Tag reden wir – in Meetings, am Kaffeeautomaten, im Fahrstuhl. Aber ausgerechnet mit den Menschen, die uns wichtig sind, rutschen wir nach Feierabend in die Oberflächlichkeit ab. "Wie war dein Tag?" "Gut." Zack, Fernseher an.
Dabei wäre jetzt der perfekte Moment: keine Agenda, kein Chef, keine nächste Aufgabe. Nur wir und das Gegenüber. Trotzdem fällt es uns schwer. Vielleicht, weil wir nach acht Stunden "Performance" einfach müde sind. Müde vom Funktionieren.
Aber was, wenn wir Deep Talk nicht als weitere Aufgabe begreifen, sondern als das, was er eigentlich ist: Zeit endlich mal wieder Mensch sein dürfen?
Was jetzt?
Ich werde kommende Woche an einer der vier Säulen arbeiten. Wahrscheinlich das mit der Dritten: Zuhören zum Verstehen, nicht um meiner Meinung willen – da bin ich am schlechtesten. Schließt du dich mir an? Falls du Lust hast, schreib mir, wie es läuft. Auch, wenn es schiefgeht. Die gescheiterten Versuche sind oft die ehrlichsten.
Aber hast du überhaupt auch das Gefühl, dass Deep Talk nach Feierabend schwerer fällt? Oder ist das nur meine Projektion?
Und noch eine letzte Frage: Wenn heute jemand zu dir sagen würde "Erzähl mir etwas, was dich wirklich beschäftigt" – was würdest du antworten?
Teile deine Gedanken dazu in den Kommentaren – ich bin wirklich neugierig auf deine Erfahrungen und Überlegungen. Und falls dir der Newsletter gefallen hat, freue ich mich über eine Weiterempfehlung an Menschen, die auch authentischere Gespräche führen möchten.
Das so weit von mir.
Freundlichste Grüße & einen schönen Feierabend.
Nächste Woche: Von Small zu Deep – meine Radiosendung, die die Findings des Monats mit der richtigen Musik zum Abschluss bringt. Spoiler: Es darf entspannt werden.